Klimafunktionskarte
Gesundheit und Wohlbefinden von Menschen werden maßgeblich von den meteorologischen Verhältnissen in ihrem Lebensumfeld bestimmt. Während das Klima in der freien Landschaft weitgehend von natürlichen Gegebenheiten abhängig ist, können sich innerhalb der Stadt durch eine zunehmende Verdichtung der Bebauung und damit verbundene Verkehrsbelastungen klimatisch und lufthygienisch beeinträchtigte Bereiche ausbilden.
Das städtische Mikroklima wird dabei geprägt durch das Zusammenwirken natürlicher Faktoren (wie geographische Lage, Relief, Höhenlage, naturnahe Flächen in der Stadt), wie auch anthropogener Faktoren (Versiegelungsgrad des Bodens, Art und Dichte der Bebauung, Begrünung) und lufthygienischer Aspekte (industrielle Anlagen, Kfz-Verkehr). Besonders an heißen Sommertagen beeinträchtigen eine starke Aufwärmung tagsüber und die eingeschränkte Abkühlung nachts die Aufenthaltsqualität in besonders belasteten Bereichen. Dabei werden die (Innen-)Städte im Vergleich zum Umland deutlich wärmer.
Wesentliche Ursachen liegen in der weitreichenden Veränderung des Wärmehaushaltes und des örtlichen Windfeldes durch bebaute Gebiete. Die eingeschränkte Durchlüftung hat eine lokale Anreicherung der Stadtluft mit Schadstoffen aus dem Verkehr, von Feuerungsanlagen und aus gewerblichen Quellen zur Folge. Durch eine unzureichende Versorgung mit Kaltluft aus dem Umland, kommt es, insbesondere während Hitzeperioden, zur Erwärmung der Innenstadt und damit verbundenen Wärmeinseln.
Darüber hinaus ist ein weiterer Anstieg der Hitzebelastung infolge der globalen Klimaveränderungen zu erwarten. Daher haben viele Städte bereits die klimatisch-lufthygienische Resilienz ihrer Raumstrukturen in den Fokus genommen und Klimafunktionskarten erstellen lassen.
Bereits im Jahr 2011 wurde im Rahmen des Freiraumkonzeptes eine Klimaanalyse auf der Basis von Klimatopen erarbeitet. Diese grobe Klimaanalyse gibt erste Hinweise wie zum Beispiel auf die Lage von Luftleitbahnen oder klimawirksame Flächen. Für einen Teilbereich der Bergisch Gladbacher Innenstadt wurden im Jahr 2019, im Rahmen der Übergabe des Zandersgeländes an die Stadt, erste Klimafunktionsuntersuchungen mit Hilfe von Klimamodellen gemäß anerkannter VDI-Richtlinien durchgeführt und Planungshinweise erarbeitet.
Sie basiert auf Modellrechnungen, die vom Büro Lohmeyer mit KALM (Kaltluftabflussmodell) und MISKAM (Mikroskaliges Klima- und Ausbreitungsmodell) durchgeführt und ausgewertet wurden. Die Modellrechnungen basieren auf einer Vielzahl an Eingangsdaten, wie dem digitalen Höhenmodell, Windfelddaten, Landnutzung, Luftbildauswertungen und anderer für das Stadtklima relevanten Faktoren.
Schließlich konnte im Jahr 2021 die gesamtstädtische Klimafunktionskarte erstellt werden. Dazu wurden über einen wesentlich größeren Einzugsbereich Flächen mit unterschiedlichen Nutzungen und klimatischen Funktionen identifiziert, als sogenannte Klimatope, herausgearbeitet und unterschiedlich farblich dargestellt. Diese sind in der Klimafunktionskarte gemäß VDI 3787 Bl.1 in blau und grün (Freilandklimatope) sowie gelb, orange und rot (besiedelte Bereiche) dargestellt.
Besonders hervorzuheben sind die hellblau dargestellten Freilandklimatope, da sie eine wichtige Funktion für die Kaltluftentstehung haben. In strahlungsarmen Nächten entsteht hier vermehrt Kaltluft, die im weiteren Verlauf der Nacht durch die Schwerkraft hangabwärts in die tiefergelegene Stadt einströmt. So entstehen thermisch induzierte Winde, die als Kaltluftströme mit zugespitzten Pfeilen in der Karte gekennzeichnet sind . Bei den blau dargestellten Kaltluftabflüssen handelt es sich um unbelastete, bei den rot Pfeilen gekennzeichneten um mit Schadstoffen belastete Luftmassen. Besonders bedeutsame Kaltluftentstehungsgebiete, die sich unmittelbar auf Siedlungsflächen auswirken, werden hier als schraffierte Flächen dargestellt. Für Bergisch Gladbach sind diese Gebiete und Freiflächen im Osten und Nordosten der Stadt zu finden. Die hier entstehenden kalten Luftmassen kommen insbesondere den östlichen Siedlungsbereichen zu Gute. Sie sollen möglichst für eine Kaltluftversorgung nach Westen hin durchlässig bleiben.
Kaltluftentstehungsgebiete kommen aber auch kleinräumig als innerstädtische Freiflächen vor. Ihnen kommt wegen der unmittelbaren, kleinräumigen Wirksamkeit eine besondere Bedeutung für die thermische Regulierung zu.
Beispiele für innerstädtische Kaltluftentstehungsgebiete
innerstädtische Grünanlagen und Freiflächen
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Stadtteil
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Besonderheit
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Marienhöhe
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Stadtmitte
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versorgt angrenzende Bebauung
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Friedhof Laurentius und umliegende Grünanlagen
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Stadtmitte
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entlastet angrenzende Bebauung
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Quartier Gertrudenstraße
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Stadtmitte
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Barriere
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Quirlsberg
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Stadtmitte
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sickert in Zandersgelände
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Lerbach
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Stadtmitte
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sickert in Zandersgelände
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Frankenforstbach
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Bensberg, Kaule
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keine Besonderheit |
Stadtgarten Bensberg
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Bensberg
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keine Besonderheit |
Park der Thomas-Morus-Akademie
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Bockenberg
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Barriere Wohnpark Bensberg
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Kaltluftströme sorgen vor allem in heißen Sommernächten für eine thermische Entlastung, d.h. Abkühlung der Siedlungsgebiete, soweit die Kaltluft in die Stadtteile eindringt. Während die östlichen Stadtteile dabei noch gut entlastet werden, erwärmt sich die Kaltluft im weiteren Verlauf aufgrund ungünstigerer Bebauungsstrukturen und Blockierungen und hebt in höhere Schichten bzw. über Dachniveau ab, wodurch die entlastende Wirkung verloren geht. Besonders hervorzuheben sind die Kaltluftströme entlang der in folgender Tabelle aufgeführten Bäche und Grünzüge.
Bezeichnung relevanter Kaltluftströme
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Stadtteil
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Besonderheit
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Mutzbach
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Nußbaum, Teilbereich Paffrath
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reicht relativ weit in die Stadtteile
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Strunde
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Östlicher Stadtrand
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teilweise verblockt, Kaltluft hebt früh ab, keine Entastung für Stadtmitte
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Scheidtbach (Querspange)
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Heidkamp bis Gronau
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in Verbindung mit Hasselbach und Saaler Mühlenbach
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Grube Cox
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Sand
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Täler des Hasselbaches und des Saaler Mühlenbaches
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Lückerath, Frankenforst
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sehr weite Eindringtiefe bis ins Zentrum von Refrath, Nadelöhr
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Die kalte Luft dringt mehr oder weniger tief in die besiedelten Bereiche ein und verdrängt, je nach Mächtigkeit der Kaltluftschicht, die warme Luft. Dadurch kommt es zu Kühlungs- und Verdünnungseffekten.
Eine weitere Möglichkeit den Luftaustausch zu gewährleisten besteht über Luftleitbahnen. Das sind Bereiche, in denen sich der regionale Windeinfluss, bei vorliegen der Hauptwindrichtung, unbehindert entfalten kann. Sie sind in der Klimafunktionskarte als Doppelpfeile zu erkennen. Eine gute Durchlüftung in Verbindung mit einer Verdünnung von angereicherten Schadstoffen in der Luft kann nur gewährleistet werden, wenn keine größeren Austauschhindernisse den Leitbahnquerschnitt abriegeln.
Die in den Luftleitbahnen transportierten Luftmassen können sowohl belastet mit Schadstoffen (hier dargestellt als rote Pfeile), als auch unbelastet (blaue Pfeile) sein. Liegen industrielle, gewerbliche oder landwirtschaftliche Emittenten und/oder stark befahrene Straßen (>10 000 Kfz/d) in diesem Bereich, dann liefert die Leitbahn nur noch Kaltluft oder mechanische Turbulenz in den Wirkungsraum, aber keine Frischluft mehr. Beispielsweise sind breite Flussauen und geradlinige Bahntrassen gute Frischluftleitbahnen.
Auf der Basis von häufig auftretenden, regionalen Winden aus dem Westen oder Südosten lassen sich für das Stadtgebiet folgende beispielhaft genannte Luftleitbahnen identifizieren: Für die Versorgung der Stadtmitte mit unbelasteter Frischluft aus westlicher Richtung hat die Luftleitbahn der S-Bahnanlage und die Luftleitbahn Am Stadion eine große Bedeutung, sowie auch der Straßenzug An der Gohrsmühle. Die Luftleitbahn Bahndamm verläuft zwischen den Stadtteilen Gronau und Heidkamp. Das Gewerbegebiet Zinkhütte wird von der Luftleit-bahn Gronauer Friedhof und der Stadtteil Paffrath von der Luftleitbahn Paffrather Mühle mit Frischluft versorgt. Die Trasse der Stadtbahnlinie 1 versorgt die Stadtteile Lustheide und Frankenforst; das Zentrum von Refrath profitiert von der Luftleitbahn Saaler Mühlenbach.
Weitere Erläuterungen zur Legende und den unterschiedlichen Klimafunktionen, sowie detaillierte Ausführungen zu den Planungshinweisen können dem dazugehörenden Gutachten "Klimafunktions- und Planungshinweiskarte für die Stadt Bergisch Gladbach", September 2021, entnommen werden.
Nutzung
Auf Basis der Klimafunktionskarte wurden von dem beauftragten Sachverständigenbüro Lohmeyer GmbH Planungshinweise erarbeitet und in eine stadtweite Karte eingepflegt. Sie dient der Verwaltung dazu Siedlungs- und Ausgleichsräume mit unterschiedlichen Empfindlichkeiten gegenüber Nutzungsintensivierung bzw. Bebauung zu identifizieren. Daraus ist zu entnehmen, inwieweit bei klimatisch relevanten Eingriffen, z.B. in der Bauleitplanung, detaillierte klimatisch-lufthygienische Fachgutachten notwendig sind. Aus den Ergebnissen solcher mikroskaligen Untersuchungen lassen sich Schutz- und Entwicklungsmaßnahmen mit dem Ziel ableiten, klimatisch-lufthygienisch empfindliche Flächen und Oberflächenstrukturen zu sichern. Dies geschieht bei Planungen in sensitiven Bereichen in enger Abstimmung mit dem Fachbereich Umwelt und dem Klimaschutzmanagement. Zu einer thermischen Entlastung sind in solchen Gebieten beispielsweise die Entsiegelung befestigter Flächen oder eine Begrünung von Dächern und Fassaden zu empfehlen.
Die Ergebnisse der Klimafunktionskarte und der Planungshinweise sollen zukünftig in allen städtischen Planungen mit betrachtet werden. Maßnahmen, die der Klimawandel- und Gesundheitsvorsorge dienen, sind soweit als möglich, z.B. auch mit Hilfe städtebaulicher und architektonischer Konzepte zur Minderung von Barriere-Wirkungen umzusetzen.
Bei der Entwicklung von Leitbildern und strategischen Zielen einer nachhaltigen und ganzheitlichen Stadtentwicklung sind Ergebnisse der Klimafunktionskarte zudem sehr hilfreich. Mögliche inhaltliche und räumliche Verknüpfungen dieser Erkenntnisse mit anderen städtischen Konzepten, wie dem integrierten Klimaschutzkonzept, dem Freiraumkonzept usw. sind in Vorbereitung.