Online-Treffen mit Bürgermeister Frank Stein und dem Ganey Tikva-Verein: Die Geschichte eines Überlebenden
Am Tag des internationalen Gedenkens an die Opfer des Holocaust, dem 27. Januar 2022, hatte Lizy Delaricha, Bürgermeisterin der israelischen Partnerstadt Ganey Tikva, zu einem Online-Treffen eingeladen. Zu den Gästen zählten vor allem die Schülerinnen und Schüler sowie Lehrerinnen und Lehrer der Junior High School Ganey Tikva und des Otto-Hahn-Gymnasiums Bergisch Gladbach, die den nächsten Austausch planen. Auch Bürgermeister Frank Stein und Vorstandsmitglieder des Städtepartnerschaft Ganey Tikva - Bergisch Gladbach e.V. hatten sich zugeschaltet.
Bürgermeister Frank Stein dankte in seiner Ansprache für dieses Gedenken, das über das Online-Format an dem besonderen Tag die Menschen in Ganey Tikva und Bergisch Gladbach verbindet. Er nimmt die Gelegenheit wahr, auch der Bergisch Gladbacher Opfer des Holocaust zu gedenken, und stellt heraus, dass die systematische Austilgung von Millionen jüdischer Leben weder vergessen, noch vergeben werden kann. Er dankt dafür, dass die Menschen in Ganey Tikva den Menschen in Bergisch Gladbach trotzdem immer die Hand in Freundschaft ausgesteckt haben. Trotz aller Schrecken der Vergangenheit würden beide Städte gemeinsamen den Weg in die Zukunft gehen. Das mache viele Menschen in Bergisch Gladbach glücklich.
Die Zuflucht - Die Geschichte von Herman: Er überlebte den Holocaust und wohnt heute unter dem Namen Zwi in Israel
Herman, heute Zwi
Im Mittelpunkt des Online-Treffens aber steht Zwi, 82 Jahre alt. Das Besondere dieses Zeitzeugens: Zwi ist der Großvater eines Schülers der Junior High School. Der Holocaust ist tatsächlich ein greifbares Element in der Städtepartnerschaft, und Zwi gibt der gemeinsamen schrecklichen Geschichte ein Gesicht. Ein Gesicht, das dennoch Freundlichkeit, Wärme und Zuwendung zu den deutschen Gästen ausstrahlt.
So stellt Zwi heraus, dass die junge Generation zwar heute über den Holocaust einiges lesen könne, z.B. in Schulbüchern, dass es aber besser sei, die Geschichte von Zeitzeugen zu erfahren. Der Holocaust sei eine historische Verknüpfung zwischen Deutschland und Israel, auch zwischen den beiden Partnerstädten. Aber - um es vorwegzunehmen - am Ende seiner Erzählung mahnt Zwi, die junge Generation Deutschland trage keine Verantwortung für den Holocaust, jedoch müsse sie mit der Erinnerung an das leben, was ihre Vorfahren getan hätten.
Nach dem Einfall der Nazis in den Niederlanden: Herman wird von seinen Eltern getrennt
Herman mit seiner Mutter
Herman, geboren 1939, wächst als Kind jüdischer Eltern in der jüdischen Gemeinschaft von Amsterdam auf. Seine Geschichte unterscheidet sich von denen anderer Jüdinnen und Juden, die in den Konzentrationslagern gequält und getötet wurden. Sie ist nämlich die Erfahrung einer Zuflucht. Zwi sagt, seine Geschichte sei die eines kleinen Jungen, der den Schrecken dank guter Menschen überlebt habe.
Zunächst gibt es nach dem Einfall der Nazis in die Niederlande nur kleine schikanierende Maßnahmen der deutschen Besatzer gegen die Jüdinnen und Juden, später muss der „Judenstern“ getragen werden, jüdischen Bürgerinnen und Bürger werden seit 1941 auf der Straße „eingesammelt“ und einer ungewissen Zukunft zugeführt.
Dies ist Anlass eines Generalstreiks gegen die antisemitischen Übergriffe, der von den Hafenarbeitern in Amsterdam ausgeht und weite Kreise zieht. Damit sind die Nazis mehrere Tage beschäftigt, und ändern anschließend ihre Strategie. Sie holen ab sofort jüdische Menschen aus ihren Häusern. Das ist weniger auffällig. Angeblich werden die "eingesammelten" Juden zur Arbeit geschickt, um die aus ihren zivilen Arbeitsplätzen für den Kriegsdienst mobilisierten arischen Männer zu ersetzen. Aber die holländischen Juden wissen bereits, dass die „Reichsjuden“ in Konzentrationslagern verschwinden…
Zwi zeigt ein Foto seiner Familie vor dem Krieg: 58 Familienmitglieder strahlen glücklich in die Kamera. Nach dem Krieg versammelt sich die Familie wieder zum Foto. 16 Familienmitglieder haben den Holocaust überlebt.
Zurück zu den zunehmenden Repressalien durch die Nazis. Hermans Familie wird getrennt, seine Eltern auf einem Dachboden in Haarlem über einem Kindergarten versteckt. Zweieinhalb Jahre des Eingesperrtseins und der Langeweile folgen. Was tun in der Abgeschiedenheit des rettenden Dachbodens? Vater und Mutter hören die Kinder des Kindergartens singen, die Lieder werden aufgeschrieben und mit Zeichnungen geschmückt. Die Mutter entwirft Kochbücher – und das mit hungrigem Magen.
Der dreijährige Herman muss zu einem befreundeten Paar in das Dorf Laren übersiedeln und wird dort versteckt. Weitere rund 100 Jüdinnen und Juden finden unter den ca. 20.000 Dorfbewohnerinnen und -bewohnern Unterschlupf.
Einmal wird es gefährlich, weil die Dame, die Hermans Versteck zur Verfügung stellt, selbst ein Kind bekommt und sich nun der Gefahr für ihre eigene Familie bewusst wird. Beim Metzger redet sie unbefangen über ihren „jüdischen Jungen“ und überlegt, wo er zukünftig untergebracht werden könnte. Der Metzger nimmt Herman auf. Noch einmal gut gegangen!
Glückliches Ende: Herman überlebt den Holocaust bei einer niederländischen Gastfamilie
Herman mit seiner neuen Schwester
Herman wird Mitglied der Familie Posthumus, wird ein geliebtes Familienmitglied - und ist es bis heute. Zwi erklärt, er habe die Situation damals in kindlicher Weise hingenommen, es sei ihm ja gut gegangen, er habe sogar mit anderen Kindern draußen gespielt. Schließlich habe er kaum etwas anderes als das unsichere, wechselvolle Leben gekannt.
Seine Eltern dagegen leiden unglaublich unter der Trennung. Nachdem sie ein Jahr lang nichts von Herman gehört haben, erkundigen sie sich auf Umwegen über den Untergrund nach seinem Wohlergehen.
Eines Tages taucht vor dem Haus der Familie Posthumus ein Mann im Ledermantel auf. Erster Gedanke: Die Nazis haben Hermans Versteck ermittelt. Und so fragt dieser Mann auch: „Wo ist der jüdische Junge?“. Große Erleichterung, als sich herausstellt, dass er nur ein Foto von Herman für seine untergetauchten Eltern schießen möchte.
Seine Eltern überleben. Sie holen Herman nach dem Sieg der Alliierten über die Nazis bei der Familie Posthumus ab. Weil sie keine Unterkunft haben, leben sie dort sechs Wochen lang. Danach dürfen sie in eine eigene Wohnung beziehen.
Herman hat nun „Mutti“ und „Papi“ wieder, aber er hat auch eine niederländische „Mutter“ und einen niederländischen „Vater“. In all dem Schrecken und Leid für ihn eine lebenslange Bereicherung.
Der junge Herman geht nach der „Zuflucht“ bei den Posthumus wieder zur Schule, studiert und beschließt dann, nach Israel auszuwandern - mit einem Moped quer durch Europa. Jetzt ist sein Name Zwi.
Zwi sagt, er habe erst ungefähr vor 20 Jahren realisiert, dass er ein Überlebender des Holocaust sei, und ist dankbar, dass er unter den schrecklichen Bedingungen für jüdische Menschen im Nationalsozialismus eine sichere Zuflucht gefunden hat. Der Kontakt zwischen seinen beiden Familien hält bis heute, Freude und Leid wird immer noch geteilt.
Wie gut, dass es auch hoffnungsstiftende Berichte aus dem Holocaust gibt. Es sind ja nur wenige, die eine solche Zuflucht gefunden haben.