Böhms Kraftwerk und die Schornsteine
Im Jahre 1929 feierte die Firma Zanders ihr hundertjähriges Bestehen. Im gleichen Jahr trat Dr. Johann Wilhelm Zanders als persönlich haftender Gesellschafter in die Firmenleitung ein. Und schon ein Jahr später schuf er die Voraussetzungen für ein neues Kraftwerk, das Dominikus Böhm bauen sollte.
Text: Michael Werling
Das neue Kraftwerk: Vorne das Maschinenhaus mit dem Kesselhaus im Hintergrund (1950)
Dieses Kraftwerk wurde 1931 fertiggestellt und sicherte nicht nur das Weiterbestehen des Werkes, sondern auch die Weiterentwicklung der Papierproduktion. Für dieses Projekt waren vier bemerkenswerte Personen verantwortlich, ihr Werk ist zwar längst von vielen neuen Anlagen zugebaut, aber mit den deutlich älteren hohen Schornsteine prägt es auch heute noch das Zanders-Gelände und die Skyline der ganzen Stadt.
Johann Wilhelm Zanders (1899-1978)
Der Unternehmer
Johann Wilhelm Zanders (1899-1978) war der älteste Sohn von Hans Wilhelm Zanders und dessen Ehefrau Olga, geb. Peltzer. Er studierte in Heidelberg und Köln Volks- und Betriebswirtschaftslehre. Dass er seine berufliche Zukunft im Familienbetrieb der Papierfabrik Zanders sah, verdeutlicht auch seine Dissertation mit dem Titel „Faserstoffverarbeitung der deutschen Papierindustrie unter dem Einfluss der technischen Wandlungen im Produktionsprozess“.
In die Geschäftsleitung des Unternehmens wurde er 1929 berufen. Johann Wilhelm Zanders verfolgte, wie sein Vater Hans Wilhelm Zanders und sein Onkel Richard Zanders, stets den weiteren Ausbau des Unternehmens mit modernen Maschinen und Einrichtungen.1 Aber auch außerhalb des Firmengeschehens engagierte er sich wie seine Vorgänger. So war er von 1948-1961 im Rat der Stadt Bergisch Gladbach engagiert.
Dominikus Böhm (1880-1955)
Der Architekt
Von 1892 bis 1896 war Dominikus Böhm zunächst im väterlichen Baugeschäft tätig und erlernte das Maurerhandwerk. Er studiert Architektur an der Baugewerkschule in Augsburg, war in verschiedenen Architekturbüros tätig, war Lehrer an die Baugewerkschule in Bingen und später an der Offenbacher Kunstgewerbeschule. In dieser Stadt wird er auch als selbstständiger Architekt tätig.
Von 1926 bis 1934 und von 1947 bis 1953 unterrichtete er als Professor für „Kirchliche Baukunst“ an der Kölner Werkschule. Dominikus Böhm zählt zu den bedeutendsten Kirchenbaumeistern des 20. Jahrhunderts und darf neben Walter Gropius oder Bruno Taut zu den Wegbereitern des architektonischen Expressionismus in Deutschland gezählt werden.
Dominikus Böhm ist der Vater von Gottfried Böhm, der in Bergisch Gladbach viele weitere prägende Gebäude schuf.
Bau des Kesselhauses
Die Ingenieure
Die Firma Wilhelm Eckardt & Ernst Hotop GmbH, Köln-Berlin war ein Spezialunternehmen für die Projektbearbeitung und Ausführung von Fabrikanlagen. Wilhelm Eckardt spezialisierte sich auf den Bau von Kalk- und Ziegelöfen, vor allem auf den Neu- und Umbau von Fabrikschornsteinen.2
Ernst Hotop (1846-1904) war Spezialist für die Gasbefeuerung in der Ziegel-, Dachziegel und Schamotteindustrie. Er lieferte die vollständigen Planungen einschließlich der kompletten Einrichtungen von Ziegeleien, Tonwaren und Brennöfen aller Systeme.3
Blick auf den gewachsenen Kraftwerk-Komplex heute
Maschinenhaus mit Turbosatz. (ca. 1939)
Das neue Kraftwerk
Als das Kraftwerk 1931 fertiggestellt wurde befand es sich inmitten der Papierfabrik in relativer Alleinlage. Lediglich auf der Ostseite besaß es durch den langgezogenen Kubus der Stoffaufbereitung (PM 6/7), ein unmittelbares Gegenüber.
Heute ist das neue Kraftwerk von einem Konglomerat von mittlerweile notwendig gewordenen Fabrikbauten (z.B. Schlammverbrennung, Kohlesilo, Turbinenhaus, E-Filter, usw.) unmittelbar umgeben.
Wie das Beauftragungsverfahren für den Kraftwerksneubau damals ablief, lässt sich heute in Ermangelung entsprechender Dokumente nicht mehr nachvollziehen. Tatsache ist, dass für dieses Projekt sechs Architekten in der engeren Auswahl standen, die Siemens-Bauunion GmbH aber Dominikus Böhm als Architekten für die Planung und Realisierung dieses Kraftwerkes empfahl.
Rote Ziegel und klare Formen: Das Maschinenhaus
Die architektonische Gestaltung des Kraftwerkes lässt sich durch die Verfahrenstechnik, die den ziegelsichtigen Kubus heute umgürtet, kaum noch nachvollziehen.
Anhand historischer Fotos lässt sich allerdings sehr gut erkennen, dass das Bauwerk von einer technischen Sachlichkeit und Nüchternheit geprägt war, was durch die Wirkung der verwendeten rotbraunen Ziegel noch verstärkt wurde.
Es ist die Architektur der sogenannten „Neuen Sachlichkeit“, die sich in den 1920er Jahren als eine auch für die Industriearchitektur angemessene Formensprache entwickelt hatte. (Details zur Architektur dieser Zeit finden Sie unten im Anhang.)
Den Hauptakzent setzt ein streng vertikal gegliederter Riegel, dessen Giebelscheiben etwas höher gezogen, diese Wirkung nochmals betonen. Die Art der Wandöffnungen in diesem Riegel variiert funktionsbedingt, nämlich in Form einzelner kleiner quadratischer Öffnungen.
Sie sind als senkrecht verlaufende Kette quasi miteinander verbunden, als bandartige Elemente unterhalb des Dachansatzes oder als zusammengefasste rasterförmige Glasflächen, die – außen bündig – der Kraftwerkshülle eingeschrieben sind.
Lichtdurchflutet: Die Turbinenhalle
Die ansonsten geschlossene Wirkung dieses Kubus ist vor allem das Abbild der Funktion des Kesselhauses, das eine starke Ummantelung der innen ablaufenden Vorgänge, der Freiwerdung und Umnutzung der Energie, benötigte.
Diesem wesentlichen Bauteil sind rechtwinkelig zwei gegeneinander abgestufte, lang gestreckte Baukörper vorgelagert, die ebenfalls durch ihre Befensterung lebendig rhythmisiert werden. Der Höhere der beiden Kuben beherbergt die Turbinenhalle. Dort wurde der in den Kesseln erzeugte Dampf mit hohem Druck (ca. 38 atü bei 425 Grad Celsius) in die Turbinen geleitet und durch den Dampfstrahl die einzelnen Schaufeln in Bewegung gesetzt.
Der Dampf wurde solange durch diese Strömungsmaschinen geleitet, bis der Druck nur noch gering war. Im Anschluss wurde der Dampf für die werksinterne Heizung bzw. für das Kochen von Stroh, das Lauge eindampfen oder für die Papiertrocknung eingesetzt.
Die neue Kesselanlage (1951)
Die beiden im Kraftwerk befindlichen haushohen Heizkessel verbrauchten täglich ca. 480 Tonnen Rohbraunkohle.5 Ein zusätzlicher Ölkessel benötigte täglich 50 Tonnen Heizöl. Dafür lieferten das Kraftwerk täglich ca. 1.400 Tonnen Dampf, die durch die Turbinen bzw. deren Generatoren ca. 200.000 kWh erzeugten.6
Der Innenraum wird nach wie vor neben den mächtigen Dampfkesseln auch durch das aus Stahlbeton gefertigte Traggerüst und den über den Kesseln befindlichen Kohlebunkern geprägt.
Natürlich sind über die Zeit und bis heute neue verfahrenstechnische Anlagen hinzugekommen, aber der grundsätzliche, monumentale Raumeindruck hat sich nur unwesentlich geändert.
1931 wurde das neue Kraftwerk mit zwei Kesseln in Betrieb genommen.
Eine erste gravierende Veränderung der äußeren Hülle des Böhm’schen Kraftwerksbau erfolgte im Jahre 1953, als man auf der Südwestseite nicht nur die Schaltzentrale erweiterte, sondern auch einen vier- bzw. fünfachsigen und zweigeschossigen Büro- und Werkstattbau mit Flachdachabschluss an die Fassade anfügte.7
1962/63 wurde eine neue Kesselanlage montiert und 1975 an das Kraftwerk ein Elektrofilter angefügt, der das gesamte Rauchgasvolumen der braunkohlebefeuerten Dampfkessel zu reinigen und dem entsprechenden Kamin zuzuführen hatte.
Die ikonische Fensterfront des Maschinenhauses
Die Schornsteine
In unmittelbarer Nachbarschaft des Kraftwerkes befinden sich heute zwei, das Stadtbild prägende Schornsteine. Aber auch aus wirtschaftspolitischer Sicht muss ihnen große Bedeutung zugemessen werden, weil sie in einer Zeit errichtet wurden, als sehr viele Bewohner von Bergisch Gladbach bei der Papierfabrik Zanders Arbeit fanden und diese Schlote zu einem weithin sichtbaren Zeichen für den Industriestandort wurden.
Der sogenannte „Alte Schornstein“ ist 1900, der „Neue Schornstein“ zwischen 1911 und 1914 aufgemauert worden.
Werkssilhouette: Alter und neuer Schornstein mit neuem Kessel im Vordergrund (1963)
Der „Alte Schornstein“
Vermutlich wurde der erste Schornstein der Firma Zanders mit dem Bau der Maschinenhalle im Bereich der „Urzelle“ der Papierfabrik errichtet. Als um 1900 ein neues Kraftwerk – vermutlich unter dem Architekten Gustav Börstinghaus – notwendig wurde, kam ein zweiter Schornstein hinzu.
Dieser hier als der sogenannte „Alte Schornstein“ bezeichnete Schlot wurde im Jahre 1921 mit einer Höhe von 80 m noch einmal komplett neu errichtet und 1935 um weitere 10 auf insgesamt 90 m erhöht.8
Der Querschnitt des Schaftes ist rund und konisch verlaufend. Der untere lichte Schaftdurchmesser beträgt 4,24 m, die obere lichte Weite misst 2,90 m. Das Mauerwerk besteht aus Hartbrand-Steinen, die mit Kalkzement-Mörtel vermauert wurden. Das Grundbauwerk ist in Beton und Mauerwerk hergestellt.
Blick von Süden aus auf die beiden Fabrikschlote (1914)
Der „Neue Schornstein“
Der Lageplan von 1911 zeigt vor dem Kraftwerk nur einen einzigen Schornstein. Das Foto aus dem Jahre 1914 zeigt dagegen schon zwei Schornsteine, d.h., in dem dazwischenliegenden Zeitfenster muss der zweite Schlot errichtet worden sein.
Nach Auskunft der Firma Zanders musste allerdings schon Anfang der 1960er Jahre das gesamte Bauwerk abgetragen und von Grund auf neu aufgemauert werden.
Beide Schornsteine sind inzwischen als Baudenkmäler eingetragen und werden auch das neue Stadtviertel, das auf dem Areal der Papierfabrik entstehen soll, weit überragen.
Anhang: Der architektonische Hintergrund
Das Kraftwerk passte in seine Zeit. Viele Bauten der 1930er Jahre fallen architektonisch noch in die Phase der „Neuen Sachlichkeit“, in Abgrenzung von Jugendstil und Bauhaus. Architekturdekorationen wurden vehement abgelehnt. Man beschränkt sich auf das primär Nützliche und kreiierte eine Bauweise, die sich allein aus den Funktionen heraus ergeben sollte.
Dabei wurden Stahl und Beton eingesetzt, mit Betonskelett-Strukturen. Trotzdem wurden viele Techniken, wie beispielsweise das Mauern der Außenwände oder die Verblendung der aus Beton gefertigten Skelettstrukturen – wie in der Gründerzeit – unverändert weitergeführt.
Das flache Dach entzweite spätestens seit Anfang der 1930er Jahre die Gemüter: Entweder galt es als modern oder als „geschmackliche Entgleisung, welche das Landschaftsbild in gröbster Weise stört“.4
Im Industriebau verwendete man nahezu ausschließlich das einfachverglaste Stahlfenster. Die Innenräume waren durch ausreichend große Fenster entsprechend belichtet. Die Wandquerschnitte der Innen- bzw. Zwischenwände zeigen mitunter eine starke Minimierung. Und auch der Ziegel ist für diese Bauteile nicht mehr das allein vorherrschende Wandbaumaterial, sondern verstärkt die Bims- oder Bimshohlblocksteine.
Die Bereitstellung von Sanitär- und Pausenräumen gehörte längst zum Raumprogramm der Industriebauten dieser Zeit. Dieser „Neuen Sachlichkeit“ ist in Deutschland mit der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten ein Ende gesetzt worden.
Fußnoten
1: K. van Eyll (wie Anm. 5), S. 53 ff.
2: Nachruf auf Wilhelm Eckardt in Tonindustrie-Zeitung 1910, S. 1637.
3: 50 Jahre Wilhelm Eckardt & Ernst Hotop, in Tonindustrie-Zeitung 1920, S. 1301 f.
4: Gustav Adolf Breymann u.a.: Allgemeine Baukonstruktionslehre, Leipzig 1903, S. 303 ff.
5: Dies entspricht einem monatlichen Verbrauch von ca. 13.000 to Rohbraunkohle. Um diesen fossilen Brennstoff heranzuschaffen, waren täglich 24 Waggons notwendig, also im Monat fast 650 bzw. im Jahr 7.800 Güterwagen (vgl. Die Gohrsmühle. Werkzeitschrift der Feinpapierfabrik J.W. Zanders, 1. Jg. Heft 6, Bergisch Gladbach 1950, S. 7).
6: Willy Meng: Von 4 auf 60000 PS, in: Die Gohrsmühle. Werkzeitschrift der Feinpapierfabrik J.W. Zanders, 10. Jg. Heft 5, Bergisch Gladbach 1959, S. 6 f.
7: Dieser Anbau erfolgte durch das Architekturbüro Dr.-Ing. Leonhard Schulze / Dr.-Ing. Wilhelm Hesse, Köln-Lindenthal (StAGL E3/370).
8: Vgl. entsprechenden Bauantrag StAGL E2/1271).